Der liebe Gott. Weil der liebe Gott nicht überall gleichzeitig sein kann, schuf er die Mutter.
Eine Mutter liebt wie niemand sonst auf Erden.
Mutterliebe macht blind, das ist erwiesen.
Und tatsächlich werden die Gehirnregionen, die das kritische Urteilsvermögen steuern, beim mütterlichen Anblick des geliebten Kinds deaktiviert.
Und nicht nur diese.
Auch eine Vielzahl anderer Regionen können anscheinend … zumindest für einen gewissen Moment … in eine Art Stand-by geschaltet werden.
Nur so ist zu erklären, warum Mütter jahrelang nachts nicht mehr durchschlafen müssen, stundenlang die Lieder von Rolf Zuckowski und Hörspiele von Benjamin Blümchen anhören können. Nicht zu vergessen - das Geschrei des Pumuckl … ist dieser überhaupt noch aktuell?
Diese Kognitiven Aussetzer scheinen sodann ein Leben lang anzudauern.
Oder wie ist es ansonsten zu erklären, dass Mütter stundenlange Elternabende, wöchentliche Telefontermine mit Lehrern und Schulpädagogen erdulden.
„Der Muttertrieb ist gefährlicher als die Atombombe“, bemerkte Loriot dazu.
Die Nachbeben dieser explosionsartigen Primärerfahrung sind heute aufs Neue zu verspüren.
Heute ist es wieder so weit.
Heute ist Muttertag.
In den vergangenen Wochen wurde wieder gebastelt und gemalt.
An bunten Riesenherzen und bunten FingerfarbeBildern.
Und auf die größeren Kinder wartet eine hocherfreute Geschenkindustrie, die stets im Mai ein gigantisches
Sortiment an herrlichen Parfums und Küchengeräten aufbietet, die Produkte in Glitzerpapier hüllt und nonchalant dem Mutti-Motto unterschiebt.
Doch den größten Umsatz erzielt jedes Jahr die Blumengilde:
Blumen und Muttertag, das gehört zusammen wie Pech und Schwefel.
Doch wir möchten nicht maulen. Denn auch wir kommen natürlich hierbei nicht zu kurz. Und legen immer gerne eine zuckersüße Schippe drauf.
Zugleich nutzen wir diese Gelegenheit für ein ganz besonders „Süßes Danke“.
Unser „Süßes Danke“ an Anna Jarvis, die "offizielle Mutter des Muttertags".
Wenngleich Anna wahrscheinlich über unsere Danksagung nicht wirklich begeistert sein würde. Denn Anna´s Muttertags-Idee war gänzlich abweichend.
Wieviel ...
Am ersten Todestag Ihrer Mutter, dem 9. Mai 1905, arrangierte Anna eine private Gedenkfeier mit Freunden und Bekannten. 1907 entwickelte sich daraus ein "offizieller Gottesdienst". Und hieraus entwickelte Anna die Idee, diesen Tag allgemein als Gedenktag für Mütter einzuführen.
Anna startete eine großangelegte Kampagne, schrieb unzählige Briefe an einflussreiche Leute und überzeugte auch die mächtige Methodistenkirche. Und Schwupps - bereits 1908 wurde der Tag in allen Kirchen Philadelphias als Muttertag begangen.
Doch das allein war für Anna Jarvis noch nicht die Errungenschaft, die ihr vorschwebte.
Anna ging es um sehr viel mehr.
1912 wurde auf der Jahresversammlung aller Methodistenkirchen der USA der Beschluss gefasst, diesen Tag offiziell im ganzen Land zu feiern und Anna Jarvis als Begründerin des Muttertags anzuerkennen.
1913 wurde der Tag im Staate Pennsylvania zum Staatsfeiertag erklärt und bereits am 9. Mai 1914 rief der Präsident der Vereinigten Staaten, Woodrow Wilson, den ersten Nationalen Muttertag aus!
„Die Flagge wehte nie aus einem schöneren und heiligeren Anlass als für diese zärtliche Armee: die Mütter Amerikas“, verkündet er verzückt.
Wieviel Liebe, wieviel Leidenschaft, wieviel Energie ist für eine solche Leistung notwendig?
"Schafft den Ehrentag der Mutter" ...
Nicht, dass Anna die Erste gewesen wäre, die glaubte, dass Mütter es verdient haben, wenigstens einmal im Jahr gewürdigt zu werden.
Nein, bereits die alten Römer und Griechen widmeten den Müttern ihrer Götter Festivitäten. Und auch England hatte im siebzehnten Jahrhundert seinen „Mothering Day“, einen Tag im Jahr, an dem Menschen in ihre Mutterkirche strömten.
Beinahe hätte sich Napoleon im Jahr 1806 mit seinem Vorschlag des Muttertags durchgesetzt. Doch dann kam Waterloo und er fand keine Zeit, sein Vorhaben umzusetzen … es geriet in Vergessenheit.
Begonnen hat tatsächlich alles mit dem Einsatz dieser unverheirateten und kinderlosen Lehrerin, die im Hause ihrer Eltern lebte und sich für die Rechte der Frauen einsetzte, die ihrer Ansicht nach unterdrückt wurden, etwa, weil sie nicht wählen durften.
Was ihr vorschwebte, war also weniger die Würdigung eines Mutterbilds von edler Einfalt, stiller Größe und nimmermüder Opferbereitschaft.
Anna ging es um die soziale und politische Rolle von Frauen in der Gesellschaft.
Doch diese, ihre Ziele waren schnell vergessen. Denn noch schneller fanden sich Andere, die es anscheinend geschickter als Anna Jarvis verstanden, eine so simple wie durchschlagende Idee auf ihre eigenen Anliegen umzumünzen.
Lasst Blumen sprechen.
Nach Deutschland kam der Muttertag um 1923. Zunächst noch etwas verhalten.
Doch nicht minder euphorisch. Hier reagierte die Geschäftswelt, die eine Chance wittert, mit dem neuen Feiertag über die Spätfrühlingsflaute zu kommen.
Es ist Rudolf Knauer, der 1922, als er aus Amerika von der Idee erfährt, begeistert mit Vortragsreisen durchs Land zieht und für eine solche Feier zu Ehren „der stillen Heldinnen unseres Volkes“ wirbt.
Knauer handelt weniger als treusorgender Ehemann und Sohn, sondern als Beauftragter des Verbands Deutscher Blumengeschäftsinhaber, dessen Vorsitzender er 1923 wird - in jenem Jahr also, in dem die Inflation in Deutschland ihren Höhepunkt erreicht und ein Kilo Kartoffeln achtzig Milliarden Mark kostet.
Kein gutes Jahr, um Blumen zu verkaufen.
Diese geschäftlichen Auswüchse um den Muttertag, hat die Erfinderin, noch zu Lebzeiten bekämpft.
Der feministische Ursprung des Muttertags, wie er Anna Jarvis einst vorschwebte, ist entglitten. Und während in Deutschland 1923 der erste Muttertag gefeiert wurde, steckte man im selben Jahr im fernen Amerika seine Erfinderin ins Gefängnis, weil sie wieder einmal öffentlich dagegen protestiert hatte, dass ihre Idee in bare Münze umgeschlagen wurde.
„I wanted it to be a day of sentiment, not profit“, zürnte Anna Jarvis:
Ihr ging es um einen Gedenk-Tag. Und nicht um einen Geschenk-Tag.
Und so folgten unzählige Prozesse gegen die Blumenindustrie.
Am Ende verlor Anna Jarvis in dem aussichtslosen Feldzug ihr gesamtes Vermögen und starb 1948 in einem
Altenheim, arm und vergessen.
Tatsächlich hat Sie hat nie erfahren, dass die Kosten für ihren Aufenthalt dort ebenjene übernahmen, die sie
die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens erbittert bekämpft hatte.
Und die ihr doch so viel zu verdanken haben: die Blumenhändler.
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